Heute sind Sätze wie „Schönheits ist relativ“ oder „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ gängig und sehr zu begrüßen. Dabei war dies nicht immer so, ganz im Gegenteil: Noch vor 150 Jahren stellte Adolf Ziesing die These auf, dass sich alle Ästhetik und Harmonie, sowohl in Mathematik als auch in der Biologie, vom „Goldenen Schnitt“ ableite. Dieser bezeichnet ein ganz spezifisches Verhältnis zweier Linien zueinander von 1: 1,618. Ein praktisches Beispiel war der menschliche Körper, welcher im Idealfall auf Höhe seines Nabels im Verhältnis des Goldenen Schnitts geteilt werde. Der untere, längere Körperabschnitt wird wiederum auf Höhe der Knie durch den Goldenen Schnitt unterteilt.
Ziesing formulierte damit etwas, das bereits einige Jahrhunderte vor Christus von griechischen Gelehrten angedacht wurde. Sie beschäftigten sich jedoch vornehmlich mit geometrischen Figuren und wandten ihre Erkenntnisse noch nicht auf die menschliche Schönheit an.
Weltberühmt sind die Zeichnungen Leonardo da Vincis, der den menschlichen Körper durch verschiedene Kreise und Linien teilt. Den Begriff des Goldenen Schnitts verwendete er jedoch nicht.
Obwohl diese mathematische Beobachtung und Berechnung noch heute auf viele Beispiele angewandt werden kann, gibt es immer wieder auch Gegenbeispiele und Ausnahmen. Adolf Ziesing beispielsweise fand den Goldenen Schnitt in nahezu allen Malereien der Renaissance, was heute umstritten ist. Trotzdem hat der Goldene Schnitt für die Architektur, die Bildkomposition und sogar in der Musiklehre noch heute eine große Bedeutung.
Schwierig ist jedoch die Aussage, dass auch der menschliche Körper diesem „Diktat“ gehorchen solle bzw. dann als besonders schön empfunden werde. Auch Berechnungen des Gesichts wurden hierzu einbezogen. Zum Einen beinhaltete die These eine große Diskriminierung gegenüber allen Menschen, die nicht ins Schema passten. Zum Anderen gibt es heute nachweislich tatsächlich subjektiv verschiedene Auffassungen von Ästhetik, gerade in Bezug auf unsere Mitmenschen. Menschen, die sich kennen, finden einander zum Beispiel von vorneherein schöner als Unbekannte. Auch positive Charaktereigenschaften können sich auf das Schönheitsempfinden des Anderen auswirken.
Grundsätzlich richtig ist jedoch, dass der Mensch ein sehr großes Empfinden für Form und Proportionen hat. Dementsprechend empfinden viele Menschen weibliche Rundungen an den richtigen Stellen beispielsweise für schön, wohingegen unvorteilhafte Fettpölsterchen an anderen Stellen als eher unschön bezeichnet werden.